Die Bewegung

Magnus Hirschfeld
Der Arzt und Sexualwissenschaftler Magnus Hirschfeld gilt der als Vater der ersten homosexuellen Bürgerrechtsbewegung. Wer aber war Magnus Hirschfeld? Und was hat ihn zu seinem Engagement motiviert?
Magnus Hirschfeld wurde 1868 als Sohn des jüdischen Arztes Hermann Hirschfeld und dessen Frau Friederike im pommerschen Kolberg geboren. Nach dem Abitur im Jahre 1887 begann er mit dem Studium der „neueren Sprachen“, 1888 wechselte Hirschfeld zur Medizin. 1892 promovierte er, im Jahre 1896 schließlich eröffnete Hirschfeld eine Arztpraxis in Berlin-Charlottenburg.
Aufgerüttelt durch den Strafprozess gegen den homosexuellen Schriftsteller Oscar Wilde, begann Hirschfeld 1895 mit der Erforschung der Homosexualität. 1896 erschien sein erstes Buch zum Thema: Die Kampfschrift „Sappho und Sokrates“ veröffentlichte Hirschfeld als einziges Buch unter einem Pseudonym, als „Th. Ramien“. 1897 gründete Hirschfeld mit dem “Wissenschaftlich-humanitären Komitee” (WhK) die weltweit erste Organisation, die sich für die Gleichberechtigung Homosexueller einsetzte.
Das WhK gewann innerhalb weniger Jahre große Anerkennung. Hirschfeld wurde zur bewunderten wie verhassten Symbolfigur der entstehenden Homosexuellenbewegung. Seine Gegner, namentlich die Nationalsozialisten, schossen sich auf Hirschfelds jüdische Abstammung ein. Sie stilisierten ihn zur Inkarnation des Unheils, das die Juden angeblich über Deutschland brächten. 1920 wurde Hirschfeld nach einem Vortrag in München von Rechtsradikalen angegriffen und schwer verletzt. Wenig später rechtfertigte Adolf Hitler den Angriff mit den Worten: “Wäre ich hier in München gewesen, so hätte ich ihm einige Ohrfeigen gegeben, denn das, was dieser Schweinejude feilbietet, bedeutet gemeinste Verhöhnung des Volkes.”
1929 errang das WhK einen großen Erfolg. Der Strafrechtsausschuss des deutschen Reichstages beschloss, Homosexualität im geplanten neuen Strafgesetzbuch nicht mehr unter Strafe zu stellen. Nach diesem Erfolg zog sich Hirschfeld 1929 aus der WhK-Arbeit zurück. 1930 begab er sich auf eine Weltreise, von der er nie wieder nach Deutschland zurückkehren sollte. Nach Hitlers Machtübernahme demonstrierten die Nazis, was sie mit Hirschfeld vor hatten: am 10. Mai 1933 verbrannten sie seine Büste auf dem Berliner Opernplatz. Hirschfeld ging ins französische Exil, wo er 1935 starb.

Karl Heinrich Ulrichs – Vorkämpfer und Wegbereiter Magnus Hirschfelds
Einer der wichtigsten Vorkämpfer und Wegbereiter Magnus Hirschfelds war der Jurist Karl Heinrich Ulrichs. Ulrichs wurde am 28. August 1825 in Westerfeld (Ostfriesland) geboren. Von 1844 bis 1846 studierte er Jura und Theologie an der Universität Göttingen, anschließend bis 1848 Geschichte an der Universität Berlin. 1864 begann er mit seinen „Forschungen über das Rätsel der mannmännlichen Liebe“. In zwölf Schriften verteidigte er die Homosexualität und kämpfte gegen die Einführung des § 175 RStGB im Jahre 1871. Ulrichs muss als der eigentliche „Vater“ der modernen Lesben- und Schwulenbewegung betrachtet werden. Magnus Hirschfeld würdigte ihn 1925 als den „großen opfermutigen Vorkämpfer für die Befreiung der gleichgeschlechtlich Liebenden von gesetzlicher Verfolgung und gesellschaftlicher Ächtung“.
Den wohl mutigsten Auftritt seines Lebens hatte Ulrichs am 29. August 1867. Auf dem Deutschen Juristentag zu München hielt er eine Rede gegen die Bestrafung Homosexueller. Die deutschen Juristen schrien Ulrichs damals nieder. Doch die Geschichte sollte ihm Recht geben. Ulrichs resümierte seinen Auftritt später so:
„Bis an meinen Tod werde ich es mir zum Ruhme anrechnen, daß ich am 29. August 1867 zu München in mir den Muth fand, Aug’ in Auge entgegenzutreten einer tausendjährigen, vieltausendköpfigen, wuthblickenden Hydra, welche mich und meine Naturgenossen wahrlich nur zu lange schon mit Gift und Geifer bespritzt hat, viele zum Selbstmord trieb, ihr Lebensglück allen vergiftete. Ja, ich bin stolz, daß ich die Kraft fand, der Hydra der öffentlichen Verachtung einen ersten Lanzenstoß in die Weichen zu versetzen.“
Erbittert und resigniert über seine Erfolglosigkeit, vor allem aber wegen der immer mehr um sich greifenden Homosexuellenverfolgung nach der Reichsgründung unter der Führung Preußens, ging Ulrichs 1880 ins Exil nach Italien, wo er 1895 in L’Aquila starb.

Max Spohr
Johannes Hermann August Wilhelm Max Spohr, geboren am 17. November 1850 in Braunschweig, war der erste und seinerzeit einzige deutsche Buchhändler und Verleger, der im nennenswerten Umfang Publikationen zum Thema Homosexualität veröffentlichte. Nach Ablehnung mehrerer Verlage wandte sich Magnus Hirschfeld an ihn, um seine Kampfschrift „Sappho und Sokrates“ zu veröffentlichen. Sie erschien 1896 als einziges Buch Hirschfelds unter dem Pseudonym „Th. Ramien“. Kurze Zeit später traf Spohr Hirschfeld persönlich und es begann eine enge Zusammenarbeit. Auf der Reise zu Spohr schrieb Hirschfeld gerade an seiner Reichstags-Petition. Spohr unterstützte ihn dabei und bemühte sich um angesehene Unterzeichner. Spohr machte Hirschfeld auch mit Eduard Oberg bekannt und zusammen mit Franz Joseph von Bülow gründeten sie in Berlin am 15. Mai 1897 das „Wissenschaftlich-humanitäre Komitee“ (WhK), die weltweit erste Organisation, die sich für die Rechte Homosexueller engagierte. Auch das später gegründete Leipziger Subkomitee des WhK leitete Spohr. Max Spohr starb am 15. November 1905 in Leipzig.

Eduard Oberg
Eduard Oberg wurde 1858 in Hamm in Westfalen geboren. Er war Jurist, später Verwaltungsbeamter. Gemeinsam mit Magnus Hirschfeld, Max Spohr und Franz Joseph von Bülow gehörte er zu den Gründern des Wissenschaftlich-humanitäre Komitees. Oberg hatte aufgrund der Lektüre von Hirschfelds Kampfschrift „Sappho und Sokrates“ Kontakt zu Spohr aufgenommen, mit dem sich ein intensiver Briefwechsel entwickelte und durch dessen Vermittlung er Kontakt zur Hirschfeld bekam. Oberg arbeitete beim WhK aufgrund seiner beruflichen Position nur „hinter den Kulissen“. Er war laut Hirschfeld „ein wenig schroff und mürrisch von außen, in seinem Innern aber überaus bieder und gesinnungstüchtig“. Kurz nach 1897 wurde Oberg dienstlich nach Hannover versetzt und um 1909/10 zog er nach Berlin in die Hagelberger Straße 21. Am 1. Oktober 1917 beging er im Alter von 59 Jahren Selbstmord. Hirschfeld schrieb dazu: „Den Schrecknissen und Entbehrungen des Krieges war er nicht gewachsen. Als der furchtbare Kohlrübenwinter über Berlin hereinbrach, als er seinen Freunden draußen im Schützengraben nichts mehr schicken konnte, als er sich mit Hunderten von Notleidenden, um ein wenig Milch oder Brot zu erhalten, stundenlang anstellen mußte, verzagte er. Unfähig seinen urnischen Schicksalsgenossen, noch unfähiger seinen Volksgenossen Frieden zu verschaffen, wollte der auf Erden Friedlose wenigstens selber Frieden haben“. Oberg wurde am 8. Oktober auf dem Zentralfriedhof in Friedrichsfelde beerdigt. Georg Plock, der Sekretär des WhK, hielt eine Trauerrede.

Franz Josef von Bülow
Franz Vollrath Carl Wilhelm Joseph von Bülow, geboren am 11. September 1861 in Frankfurt am Main, war Schriftsteller, Oberleutnant und Vorkämpfer der Homosexuellenbewegung. Nach einer militärischen Laufbahn verließ Bülow 1890 das Militär und ging in das deutsche Kolonialgebiet Deutsch-Südwestafrika zur South West Africa Company. In den folgenden Jahren schrieb er ein Buch über seine Eindrücke in Deutsch-Südwestafrika, über Cecil Rhodes Politik sowie den Aufstand der Herero und Nama. Durch eine Schussverletzung erblindete von Bülow und kehrte deshalb nach Deutschland zurück. 1898 heiratete er die geschiedene Gräfin Konstanze Beust, geborene von Goldacker, trennte sich jedoch nach einem Jahr wieder von ihr.
Nach Angaben Magnus Hirschfelds gehörte Bülow gemeinsam mit ihm, Eduard Oberg und Max Spohr zu den Gründern des „Wissenschaftlich-humanitären Komitees“ in Berlin. Um 1900 zog Bülow nach Venedig, da dort Homosexualität im Unterschied zum Deutschen Reich legal war. Er wohnte im Palazzo Tiepolo bei San Polo am Canal Grande. Nach Beginn des Ersten Weltkrieges verließ Bülow Venedig und kehrte nach Deutschland zurück, wo er am 18. Oktober 1915 in Dresden starb.

Kurt Hiller
Kurt Hiller, geboren am 17. August 1885 in Berlin, war ein Schriftsteller und pazifistischer Publizist aus jüdischer Familie. Nach seinem Abitur als Primus Omnium am Askanischen Gymnasium in Berlin im Jahre 1903 studierte Hiller Rechtswissenschaften und Philosophie. 1907 wurde er in Heidelberg mit der Dissertation „Das Recht über sich selbst“ zum Dr. jur. promoviert. Aufgrund der Dissertation trat im Juli 1908 Magnus Hirschfeld an ihn heran, ein Kontakt, der in den darauf folgenden 25 Jahren ein intensives Engagement Hillers im „Wissenschaftlich-humanitärem Komitee“ zur Folge hatte.
Nachdem Hirschfeld 1929 vom Vorsitz des WhKs zurücktrat, wurde Hiller zum zweiten Vorsitzenden gewählt, was er bis zur Auflösung des Komitees im Jahr 1933 blieb. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde Hiller, der als Pazifist, Sozialist, Jude und Homosexueller den Nazis gleich vierfach verhasst war, insgesamt dreimal verhaftet, in den Konzentrationslagern Columbia-Haus, Brandenburg und Oranienburg inhaftiert und schwer misshandelt. Nach seiner Entlassung 1934 floh er nach Prag und 1938 weiter nach London.
Als Hans Giese 1949 ein neues WhK gründen wollte und dann die Gesellschaft für Reform des Sexualstrafrechts e. V. gründete, arbeitete Hiller einige Monate mit. 1955 kehrte Hiller nach Deutschland zurück, ließ sich in Hamburg nieder und versuchte dort 1962, das WhK neu zu gründen. Er blieb dabei aber isoliert und der Versuch scheiterte. Hiller starb am 1. Oktober 1972 in Hamburg.

Adolf Brand
Adolf Brand, geboren am 14. November 1874 in Berlin, gründete 1896 die weltweit erste regelmäßig erscheinende Schwulen-Zeitschrift namens „Der Eigene“. Die Zeitschrift erschein bis 1932. 1899/1900 veröffentlichte Brand in seinem Verlag Elisar von Kupffers einflussreiche Anthologie der homoerotischen Literatur „Lieblingminne und Freundesliebe in der Weltliteratur“.
Brand unterstützte Hirschfelds Kampf gegen den § 175 RStGB und wurde früh Mitglied im „Wissenschaftlich-humanitären Komitee“. Schon bald kam es aber zum Bruch. Weil er Hirschfelds Theorie der sexuellen Zwischenstufen ablehnte, gründete Brand im Jahr 1903 zusammen mit Benedict Friedlaender und Wilhelm Jansen die „Gemeinschaft der Eigenen“, deren Ideale die homosexuelle Liebe viriler Männer und die Knabenliebe nach griechischem Vorbild waren, und deren Mitglieder auch den Ideen Gustav Wynekens vom pädagogischen Eros nahestanden.
Brand war ein Verfechter des „Outings“ bekannter schwuler Männer, lange bevor dieser Begriff geprägt wurde. Als er 1907 im Verlauf der Harden-Eulenburg-Affäre behauptete, Reichskanzler Bernhard von Bülow führe eine homosexuelle Beziehung, um ihn zur Abschaffung des §175 zu bewegen, verklagt ihn von Bülow wegen Verleumdung. Weil er für seine Behauptung keine Beweise vorbringen konnte, wurde Brand zu 18 Monaten Haft verurteilt. Auch diverse andere Haftstrafen musste er absitzen, u.a. wegen verschiedener in den Augen der Strafverfolger anstößiger Text- und Bild-Veröffentlichungen.
1933 musste Brand seine verlegerischen Aktivitäten einstellen, nachdem viele seiner Bücher und Unterlagen beschlagnahmt worden waren. Brand starb am 2. Februar 1945 bei einem Luftangriff der Alliierten.

Benedict Friedlaender
Benedict Friedlaender, geboren am 18. Juli 1866 in Berlin, war ein deutsch-jüdischer Zoologe, Sexualwissenschaftler, Soziologe und Ökonom. Friedlaender studierte Mathematik, Physik, Botanik und Physiologie und promovierte 1888 mit einem zoologischen Thema. Wesentlichen Einfluss hatte sein Buch „Die Renaissance des Eros Uranios“ auf die Männerbund-Thesen von Hans Blüher, mit dem er persönlich bekannt war. Als finanzkräftiger Mäzen zeichnete Friedlaender erhebliche Anteile am „Wissenschaftlich-humanitären Komitee“. Friedlaender war auch Mitglied des WhKs, brach aber 1906 mit Hirschfeld und gründete die „Sezession des Wissenschaftlich-humanitären Komitees“, später „Bund für männliche Kultur“. Diese Abspaltung überlebte den Freitod Friedlaenders am 21. Juni 1908 in Schöneberg nur kurz.

 

Richard Linsert
Richard Linsert, geboren 1899, war einige Jahre Mitarbeiter des “Wissenschaftlich-humanitären Komitees”. Linsert wuchs in München auf und absolvierte dort eine kaufmännische Ausbildung. Er wurde Mitglied der Kommunistischen Partei, zudem engagierte er sich im Rotfrontkämpferbund. In München lernte er Kurt Hiller kennen, der ihm eine Anstellung als Hilfssekretär des WhKs vermittelte. Ab 1926 war er dort Schriftführer. Er wurde zum Experten in sexualwissenschaftlichen Themen und war am Gegenentwurf des WhKs zum Entwurf des Sexualstrafrechts von 1927 beteiligt. Im Dezember 1929 verließ Linsert das Wissenschaftlich-humanitäre Komitee und gründete mit den Ärzten Max Hodann, Bernd Götz und dem Juristen Fritz Flato das Archiv für Sexualwissenschaft, das aber unbedeutend blieb. Gleichwohl schrieb er noch 1929 und 1930 gemeinsam mit Magnus Hirschfeld Bücher über Empfängnisverhütung und Aphrodisiaka. Zudem publizierte er 1929 einen Sammelband über männliche Prostitution. 1931 veröffentlichte Linsert die Monographie „Kabale und Liebe“. Als sein Lebensgefährte galt Peter Limann, der zweite Sekretär des WhKs. Linsert starb im Februar 1933 in Berlin an einer verschleppten Lungenentzündung.

 

Otto Juliusburger
Otto Juliusburger, geboren am 26. September 1867 in Breslau, war Psychiater und letzter Vorsitzender des „Wissenschaftlich-humanitären Komitees“. Juliusburger besuchte als Sohn eines angesehenen jüdischen Kaufmanns ab 1878 das städtische evangelische Maria-Magdalena-Gymnasium in Breslau. Nach dem Abitur im Jahre 1887 studierte er Medizin. Danach war er in Berlin als Oberarzt am Sanatorium „Berolinum“ tätig. Nach dem Ersten Weltkrieg arbeitete und lehrte er auch am Berliner Psychoanalytischen Institut. Juliusburger setzte sich für einen liberalen Strafvollzug ein und arbeitete über Jahre eng mit dem „Institut für Sexualwissenschaft“ zusammen. 1929 wurde Juliusburger zum 1. Vorsitzenden des „Wissenschaftlich-humanitären Komitees“ gewählt. Albert Einstein, mit dem Juliusburger seit 1917 eine tiefe Freundschaft verband, drängte seinen Freund zur Emigration und bezahlte ihm und seiner Familie 1941 die Überfahrt in die Vereinigten Staaten. Bis zu seinem Tod am 7. Juni 1952 lebte Otto Juliusburger in New York.

(Texte: Alexander Zinn)