Interview. Discover Football ist eine in Berlin ansässige Fußball-NGO. Sie engagiert sich für Gleichberechtigung, Emanzipation und Frauenrechte weltweit. Im Interview erzählen sie vom Spannungsverhältnis von Fußball und Feminismus, gesellschaftspolitischen Kämpfen, Stereotypen, der Geschichte des sogenannten Frauenfußballs und von Utopien im Fußball.
Respect Gaymes: Was hat Fußball mit Feminismus zu tun?
Discover Football: Lass uns die Frage zunächst anders stellen: Was erkennen wir, wenn wir mit einem feministischen Blick auf Fußball gucken? Feminismus zeigt uns seit jeher, wie wir in unseren Leben – und damit eben auch im Sport – mit Geschlechterrollen konfrontiert werden, die uns sagen, was sich gehört und was nicht, wie wir uns verhalten sollen und wie nicht, wen wir lieben sollen und wen nicht… Das Maß aller Dinge scheint dabei stets der heterosexuelle (Cis-)Mann zu sein. Und das trifft eben auf den Fußball besonders zu. Hier hält sich noch immer die Vorstellung, dass dieser Sport nur dann gut, richtig und schön ist, wenn er von heterosexuellen Männern ausgeübt wird. Als Frauen* (unter Frauen* verstehen wir alle Weiblichkeiten, Trans* und Inter* inbegriffen) stehen wir da vor einem Dilemma: Zunächst einmal wird unser Fußball-Können angezweifelt und wir müssen uns erstmals beweisen. Wenn wir aber zeigen, dass wir spielen können, wird uns abgesprochen, „richtige Frauen” zu sein. Die gängigen Beschimpfungen wie „Mannweib“ oder „Kampflesbe” stellen dabei eine Kombination aus Sexismus und Homophobie dar, die uns Tag für Tag auf dem Platz begegnen. Der gleiche Mechanismus greift übrigens auch umgekehrt: „echte“, sprich klischeehaft heterosexuelle Männer, spielen selbstverständlich Fußball, schwule Fußballer erscheinen dann als nicht „männlich“ genug, um guten Fußball zu spielen. Als Feministinnen stellen wir dann natürlich die Frage, ob das gerecht ist. Und, nein, natürlich ist das nicht gerecht! Im Fußball sind eben nicht alle gleich und es kommt auch nicht nur auf die Leistung an. Feminismus ermöglicht uns also genau diese Ungerechtigkeit und Ungleichbehandlung aufgrund von Geschlecht und sexueller Orientierung zu erkennen und eben auch laut und öffentlich anzuprangern.
RG: Lass uns einen historischen Rückblick wagen: Wie würdest du die unterschiedlichen Phasen seit 1970, als in der BRD das Verbot des Frauenfußballs aufgehoben worden ist, bis heute beschreiben?
DF: Der DFB hat 1970 das Verbot des Frauenfußballs ja nicht aufgehoben, weil die Funktionäre plötzlich alle zu Feministen wurden. Vielmehr fürchteten sie damals, dass sich der „Damenfußball“ selbst organisieren würde und sich damit der Kontrolle des DFB entziehen könnte. Daher erlaubten sie das Spiel der Frauen, aber hielten es zunächst klein – mit Jugendbällen, kürzeren Spielzeiten und ohne Stollenschuhe, da die Körper der Frauen ja angeblich geschützt werden müssten. Diese erste Phase war sicherlich geprägt von den Versuchen, Frauenfußball zu trivialisieren. Nur nach und nach wurden Wettkämpfe eingeführt. Die Wende bedeutete sicherlich auch für den Frauenfußball in Ostdeutschland einen großen Einschnitt, viele Vereine haben ja nicht überlebt. In den 1990er Jahren war der deutsche Frauenfußball dann international so erfolgreich, dass er nicht mehr länger ignoriert werden konnte. Das ist schon echt krass, da gewinnt das deutsche Frauen-Nationalteam mehr internationale Wettkämpfe als die Männer und wird immer noch nicht ernst genommen und angemessen unterstützt. Bestes Beispiel ist das allseits bekannte Kaffeeservice, das das Nationalteam der Frauen zum Gewinn der EM 1989 als Siegesprämie vom DFB erhielt. In den Nullerjahren hat sich das dann etwas verändert. Theo Zwanziger hat den Frauenfußball damals sehr unterstützt und dann war da ja noch die WM 2011 in Deutschland mit dem Slogan „Fußball von seiner schönsten Seite”. Daran kann man gut sehen, dass es nicht darum geht, Frauen- und Männerfußball gleichwertig zu behandeln, sondern vielmehr aus dem Frauenfußball eine eigene Sportart zu machen: ein schönes, taktisch ansprechendes Spiel, aber eben grundverschieden zum harten, schnellen, „echten“ Männerfußball. Das Ganze geht mit einer Hyper-Feminisierung des professionellen Frauenfußballs einher, um ihn vom Stigma des „Lesbensports” zu befreien und somit besser vermarkten zu können.
RG: Beschäftigen sich Fußballerinnen weltweit mit den gleichen Themen oder gibt es hier regionale Unterschiede?
DF: Es gibt natürlich große Unterschiede zwischen den Themen, mit denen sich Fußball spielende Frauen in verschieden Ländern beschäftigen (müssen): zwischen Lohnungleichheit im Profisport und der Angst vor bewaffneten Übergriffen auf dem Trainingsgelände liegen sicherlich Welten. Nichtsdestotrotz sehen wir immer wieder, dass es auch vergleichbare Erfahrungen von Fußballerinnen auf internationaler Ebene gibt: Verbote durch die Familie, Fußball zu spielen, soziale Stigmatisierungen von Fußballerinnen als „keine richtigen Frauen“ oder „Kampflesben“, geringere Anerkennung und/oder materielle Ausstattung innerhalb von Clubs mit Frauen- und Männerabteilung, schlechte Platz- oder Anstoßzeiten etc.
RG: Es gibt mittlerweile einige Fußball- bzw. Sportveranstaltungen abseits des Mainstreams: Die Gay Games, die Mondiali Antirazissti und in Berlin etwa euer international ausgerichtetes Discover Football-Festival und unsere Respect Gaymes. Siehst du hier Verbindendes und/oder Trennendes?
Alle diese Events versuchen ja, die ausgrenzenden Aspekte des Fußballs zu thematisieren und zu überwinden – seien es Rassismus, Homophobie oder Sexismus. Dabei bemühen sich alle, mit der Janusköpfigkeit des Fußball umzugehen: Einerseits bringt er Menschen zusammen, verbindet, ermöglicht Spaß, Austausch und Begegnungen zwischen Nationalitäten, Religionen, Sprachen etc. Andererseits treiben Rassismus, Heteronormativität, Wettkampf und Konkurrenzdenken einen Keil zwischen Spieler_innen, Teams und Fans, was mitunter zu Gewalt und Aggressionen führt. Alle diese Events versuchen auf unterschiedliche Weise, den ersten Aspekt stark zu machen und den zweiten abzumildern – jeweils mit einem bestimmten Fokus. Ist halt eine Gratwanderung! Und die kann nie ganz glücken, sodass nie alle Erwartungen und Ansprüche erfüllt werden können und wirklich jede Diskriminierungs- und Ausgrenzungsform überwunden werden kann. Wahrscheinlich ist es deshalb auch wichtig, dass es die verschiedenen Events gibt.
RG: All diese genannten Events würden vermutlich für sich reklamieren, dass Sie eine politische Botschaft vermitteln wollen. Wie würdest du „das Politische“ in der Arbeit von Discover Football umreißen?
DF: „Politisch” heißt für uns zunächst einmal, deutlich zu machen, dass die Aussage „Im Fußball sind alle gleich“ völliger Quatsch ist. Wie alle anderen Bereiche unserer Gesellschaft ist auch der Fußball von Ungleichheiten, Vorurteilen sowie von ungerechten Verteilungs- und Entscheidungsstrukturen geprägt. Wir sind politisch, weil wir genau das thematisieren, anstatt uns hinter dem Märchen vom unpolitischen Sport, das nicht zuletzt die großen Sportverbände gerne erzählen, zu verstecken. Der Kampf gegen Sexismus und Homophobie im Fußball ist für uns damit unweigerlich auch ein gesellschaftspolitischer Kampf für Frauen- und LGBTIQ-Rechte sowie für Geschlechtergerechtigkeit.
Wir machen dies, indem wir Begegnungen zwischen Frauen ermöglichen, die sich sonst nie getroffen hätten, wir bringen sie in einen Austausch, bestärken uns gegenseitig und entwickeln gemeinsame Strategien. Wir zeigen starke Frauen* und stellen damit die Geschlechterklischees in Frage, wir vernetzen Fußballteams und Frauen*- bzw. LGBTIQ-Rechtsaktivist_innen. Fußball ist dabei für uns das Bindeglied, die gemeinsame Leidenschaft, aber auch Mittel und Symbol.
RG: Wie würde ein Fußball aussehen, damit ihr sagen könntet, es bräuchte Discover Football nicht mehr?
DF: Das ist eine gute und zugleich sehr schwierige Frage – da scheiden sich ja auch die feministischen Geister generell. Einerseits wünschen wir uns eine Welt, in der der Frauenfußball die gleiche Anerkennung und Unterstützung erfährt, wie der Männerfußball. Eine Welt, in der das Geschlecht quasi unwichtig geworden ist, wo es niemanden mehr interessiert. Diese Vision ist sehr an dem Ideal der Gleichheit orientiert. Zugleich gibt es aber durchaus auch Stimmen und verlockende Vorstellungen, die eine Zukunft malen, in der der Frauenfußball gänzlich unabhängig vom Männerfußball ist. Der nach seinen eigenen Regeln spielt, sich nicht am Ideal des Männerfußballs – mit all seiner Kommerzialisierung und Korrumpiertheit – orientiert und von diesem anerkannt werden möchte. Er wäre quasi unabhängig und somit wären auch Geschlechterstereotype und Machtungleichgewichte in den Verbänden und unter den Funktionären völlig unwichtig. Beides sind verlockende Vorstellungen. Und so wie nicht alle Frauen gleich sind, so sind auch ihre Wünsche und Visionen sehr unterschiedlich.