11. Todestag von Hatun Sürücü

Berliner Arbeitskreis gegen Zwangsverheiratung gedenkt der Opfer von Gewalttaten im Namen der Ehre

Der Berliner Arbeitskreis gegen Zwangsverheiratung ruft zum Gedenken an Hatun Sürücü sowie alle Opfer von Gewalt im Namen der Ehre auf.  Die Gedenkveranstaltung, zu der das Bezirksamt Tempelhof-Schöneberg einlädt, findet am 7. Februar 2016 um 11 Uhr am Gedenkstein für Hatun Sürücü (Oberlandgarten 1/Ecke Oberlandstraße in 12099 Berlin-Tempelhof) statt. Die Bezirksbürgermeisterin Angelika Schöttler und die Senatorin Dilek Kolat  sowie die  Koordinatorin des Berliner Arbeitskreises gegen Zwangsverheiratung,  Petra Koch-Knöbel, werden eine kurze Ansprache halten.

Am 7. Februar 2005 wurde Hatun Sürücü mit 23 Jahren von ihrem jüngeren Bruder auf offener Straße in Berlin-Tempelhof erschossen. Sie wollte ein freies und selbstbestimmtes Leben führen und hat damit bewusst gegen die strengen Regeln und tradierten Ehrvorstellungen ihrer Familie verstoßen. Hatun Sürücüs Schicksal steht für viele Mädchen und Frauen, die unter Gewalt im Namen der Ehre leiden. Sie leben in patriarchalisch geprägten Familien, in denen sie kontrolliert werden und in denen voreheliche Beziehungen verboten sind. Auch junge Männer sind betroffen, insbesondere wenn ihr Lebensentwurf nicht der heterosexuellen Norm entspricht. Homosexualität ist geächtet, die Jungfräulichkeit (der Frau) das höchste Gut und Grundvoraussetzung für das Ansehen  der ganzen Familie. Diese tradierten Werte kollidieren im Laufe des Erwachsenwerdens mit der Suche nach selbstbestimmten Lebenswelten und dem Erwachen der eigenen sexuellen Wünsche. Die daraus entstehenden Konflikte scheinen oft unlösbar. Bei vielen enden sie mit einer Zwangsverheiratung, bei manchen, wie im Falle Hatuns, mit einem „Ehren“-Mord.

Seit 2002 gibt es den Berliner Arbeitskreis gegen Zwangsverheiratung. In diesem  Gremium sind die Berliner Antigewaltprojekte, Krisen- und Zufluchtseinrichtungen, TERRE DES FEMMES, der Lesben- und Schwulenverband Berlin-Brandenburg, Frauenhäuser, Schulen, Rechtsanwältinnen, Polizei, Jugendämter und Jobcenter, bezirkliche Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte sowie die für die Frauenpolitik zuständige Senatsverwaltung vertreten.

In den 11 Jahren seit Hatun Sürücü’s Tod hat es Fortschritte in den Bereichen der Justiz und in der Aufklärungsarbeit gegeben. Zwangsverheiratung ist inzwischen ein eigener Strafbestand  und „Ehren“-Morde werden in der Regel nicht mehr als Totschlag mit einer geringen Strafe geahndet. Trotzdem bleibt noch viel zu tun. Eine Umfrage  des Berliner Arbeitskreises gegen Zwangsverheiratung ergab, dass im Jahr 2013 insgesamt 460 Fälle von Zwangsverheiratung bekannt geworden sind.  Anlässlich des 11. Todestages von Hatun Sürücü wiederholt  der Berliner Arbeitskreis gegen Zwangsverheiratung folgende sechs Forderungen an die Politik:  

1.    Benennung einer repräsentativen Einrichtung (Schule, Kita, Bibliothek etc.) im Bezirk Tempelhof-Schöneberg nach Hatun Sürücü

2.    Finanzielle Absicherung und Weiterentwicklung der vorhandenen Beratungseinrichtungen, Kriseneinrichtungen und Präventionsangebote für die besonderen Bedarfe der Unterstützung bei Gewalt im Namen der Ehre, einschließlich der Qualifizierung der Arbeit mit dem Umfeld der betroffenen Mädchen

3.    Beratung und sichere Unterbringung auch für Paare und  betroffene  (junge) Männer. Hierbei muss insbesondere auch dem Umstand Rechnung getragen werden, dass einige Menschen aufgrund von Homosexualität gefährdet sind. Durch die Zuspitzung auf dem Wohnungsmarkt sollte es zudem eine Erweiterung des Geschützten Marktsegments in diesem Bereich geben.

4.    Der Berliner AK gegen Zwangsverheiratung erarbeitet derzeit Handlungsempfehlungen für Berliner Jugendämter in Bezug auf Intervention bei Gewalt gegen Mädchen und Frauen in traditionell-patriarchalischen Familien, die von der politischen Ebene Berlins realisiert werden sollten. Gute Praxisbeispiele, wie die Rundschreiben (Nr. 16/2006 und Jug 2/2005) der Senatsverwaltung für Jugend mit Informationen zum Thema Zwangsverheiratung für die Berliner Schulen bzw. zu Hilfen für junge Volljährige, werden hierbei  einbezogen.

5.    Der Berliner AK fordert  die Entwicklung und das Vorhalten von Fortbildungsangeboten für Behörden und Institutionen, insbesondere für den Bereich der Justiz zum Thema Zwangsverheiratung.    

6.    Wir fordern des Weiteren die Einbeziehung des Themas  Zwangsverheiratung und Gewalt im Namen der Ehre in die Curricula der relevanten Berufsgruppen, wie z.B. Lehrkräfte und Sozialwesen.

Gedenken an Hatun Sürücü
Sonntag, 7. Februar 2016, 11 Uhr
Oberlandgarten 1 / Ecke Oberlandstraße, 12099 Berlin-Tempelhof