25 Jahre Abschaffung §175

Opfer von staatlichem Unrecht müssen konsequent und unbürokratisch rehabilitiert und entschädigt werden

Der § 175 des Strafgesetzbuches existierte vom 1. Januar 1872 bis zum 11. Juni 1994. Er stellte sexuelle Handlungen zwischen Personen männlichen Geschlechts unter Strafe. „Die Abschaffung dieses Unrechtsparagrafen vor 25 Jahren besiegelte das Ende der staatlichen Homosexuellenverfolgung in Deutschland. Ohne die Abschaffung wäre ein erfolgreiches Engagement für Gleichberechtigung im Ehe-Recht unmöglich gewesen“, so LSVD-Landesvorstandsmitglied Adrian Voigt.

 

Der 1935 verschärfte § 175 StGB blieb in der Bundesrepublik Deutschland bis 1969 unverändert in der nationalsozialistischen Fassung in Kraft. Zehntausende Männer wurden im demokratischen Staat aufgrund von NS-Gesetzgebung Opfer von Strafverfolgung. Auch die DDR hatte Homosexualität unter Erwachsenen bis 1968 nicht vollständig entkriminalisiert, und bis 1989 galten ähnlich wie in der Bundesrepublik unterschiedliche strafrechtliche Schutzaltersgrenzen für Homo- und Heterosexualität.

 

Die SED-Herrschaft sorgte in der DDR jahrzehntelang für eine gesellschaftliche Tabuisierung von Homosexualität. Beim Strafrecht war die DDR jedoch etwas fortschrittlicher. Während in der Bundesrepublik § 175 StGB bis 1969 in der massiv verschärften nationalsozialistischen Fassung von 1935 unverändert in Kraft blieb, kehrte die DDR zur Rechtslage vor den Nationalsozialisten zurück, die allerdings auch menschenrechtswidrige Verfolgung bedeutete. Ende der 1950er Jahre stellte die DDR die Strafverfolgung homosexueller Handlungen unter Erwachsenen de facto ein. 1968 verschwand § 175 aus dem Strafgesetzbuch der DDR, wurde allerdings durch § 151 ersetzt, der, ähnlich wie später in der Bundesrepublik, höhere Schutzaltersgrenzen für homosexuelle Kontakte vorsah und auch sexuelle Handlungen von Frauen unter Strafe stellte. 1988 wurde auch dessen Streichung beschlossen, die 1989, wenige Monate vor dem Mauerfall, in Kraft trat.

 

Der schwul-lesbischen Bürgerrechtsbewegung der DDR, aus der auch der heutige Lesben- und Schwulenverband hervorgegangen ist, ist es gelungen, eine Ausdehnung des bundesdeutschen § 175 nach Ostdeutschland zu verhindern. Im Einigungsvertrag zwischen Bundesrepublik und DDR von 1990 wurde § 175 StGB von der Übertragung des bundesdeutschen Strafrechts auf die so genannten „neuen Länder“ ausgenommen. Dies führte zu der absurden Situation im vereinten Deutschland, dass sexuelle Handlungen, die in Ost-Berlin erlaubt waren, in West-Berlin weiterhin unter Strafe standen. Das gespaltene Recht legte den Grundstein für die endgültige Streichung des § 175 im Jahr 1994.

 

Mit § 175 wurde nicht, wie bei anderen längst abgeschafften Straftatbeständen, wie z.B. Kuppelei, ein steuerbares Verhalten bestraft. Es wurde vielmehr ein Persönlichkeitsmerkmal, nämlich das Leben der sexuellen Orientierung, bestraft, obwohl keine anderen Menschen betroffen waren – mithin ein reines Gesinnungsstrafrecht.

 

Erst seit 2017 wurden die nach § 175 StGB verurteilten Männer rehabilitiert. „Allerdings müssen auch noch Lücken im Rehabilitierungsgesetz geschlossen werden, weil immer noch Unterschiede bei den Schutzaltersgrenzen von Heterosexuellen und Homosexuellen gemacht werden“, so LSVD-Vorstandsmitglied Adrian Voigt. „Zugleich sind wir erfreut, dass gegen massive Widerstände aus dem konservativen politischen Spektrum die Urteile aufgehoben und die ersten Betroffenen rehabilitiert wurden.“

 

Darüber hinaus fordert LSVD-Vorstandsmitglied Adrian Voigt: „Es sollte geprüft werden, ob tatsächlich Staatsanwaltschaften und das Bundesamt für Justiz arbeitsteilig für die Feststellung der Aufhebung von Urteilen und die Entschädigung zuständig sind oder ob im Sinne der betroffenen Menschen alle Aufgaben vom Bundesamt für Justiz erledigt werden. Wir sind für eine Straffung des Verfahrens, damit Ungerechtigkeiten unbürokratisch ausgeglichen werden. Und wir fordern, nachdem sich der Staat nun aus unserer Sexualität heraushält, dass er den nächsten Schritt macht und nach der rechtlichen auch die gesellschaftliche Ächtung, die durch die staatliche Verfolgung massiv gefördert wurde, aufarbeitet.“