Rede von Jörg Steinert am Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus

Foto: Johannes Blankenstein, LSVD

Meine sehr geehrte Damen und Herren,

liebe Freundinnen und Freunde,

 

im Namen des Landesverbandes Deutscher Sinti und Roma Berlin-Brandenburg, der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas und des Lesben- und Schwulenverbandes begrüße ich Sie zu deiner heutigen Gedenkveranstaltung.

 

Wir gedenken heute aller Opfer des Nationalsozialismus. Das betone ich, da Sinti, Roma und Homosexuelle über Jahrzehnte in der deutschen Erinnerungskultur keine Berücksichtigung fanden.

 

Lange Zeit wurde über staatliches Unrecht in Deutschland geschwiegen. Nicht nur das, es wurde behauptet, dass es kein Unrecht gegeben habe:

Als der Berufsmusiker Wilhelm Heckmann, der unter den Nachwirkungen der langjährigen Haft in den Konzentrationslagern Dachau und Mauthausen litt, einen Antrag auf Wiedergutmachung stellte, wurde dieser 1960 abgelehnt mit der Begründung, Heckmann sei „nur als Homosexueller wegen Verbrechens gegen § 175 StGB in Haft gehalten“ worden. Im Bundesentschädigungsgesetz wurde damals Homosexualität als Verfolgungsgrund nicht anerkannt.

Wenige Jahre vor Heckmanns Tod, Anfang der 1990er Jahre, erfährt sein Neffe Klaus Stanjek durch Zufall von der KZ-Haft des Onkels. Er begann zu recherchieren und arbeitete zwei Jahrzehnte an einem Dokumentarfilm über Heckmanns Schicksal. 2012 feierte der Film „Klänge des Verschweigens“ schließlich Premiere. Der Film dokumentiert die Lebensgeschichte des Onkels. In erster Linie geht es um die Tabuisierung der Homosexuellenverfolgung nach 1945.

 

Am 3. Juni 2018 sagte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hier an diesem Denkmal: „Ihr Land hat Sie zu lange warten lassen. Wir sind spät dran. Was gegenüber anderen Opfergruppen gesagt wurde, ist Ihnen bisher versagt geblieben. Deshalb bitte ich heute um Vergebung – für all das geschehene Leid und Unrecht, und für das lange Schweigen, das darauf folgte.“

 

Wir wollen uns nie wieder mit solchen Menschenrechtsverbrechen abfinden. Und es ist unabdingbar, dass wir – als nachkommende Generation der Opfer und Verfolgten – die Solidarität der gesamten Gesellschaft einfordern. Daher freuen wir uns, dass Petra Pau und Claudia Roth vom Präsidium des Deutschen Bundestages heute anwesend sind, sowie Staatsminister Michael Roth, Bürgermeisterin und Senatorin Ramona Pop, Senatorin Elke Breitenbach und Staatssekretärin Sawsan Chebli, Mitglieder des Deutschen Bundestages, des Berliner Abgeordnetenhauses und des Brandenburger Landtages, Vertreter*innen der Bundesantidiskriminierungsstelle, des Auswärtigen Amtes und der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld, Vorsitzende von Parteien und Fraktionen, Vertreter*innen von Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften, Gewerkschaften und Verbänden sowie die Zivilgesellschaft in all ihrer Vielfalt.

 

Zehntausenden, Hundertausenden, Millionen Menschen wurde von den Nationalsozialisten ihr Leben geraubt. Ihnen gedenken wir heute. Aber bei all diesen unbeschreiblichen Zahlen dürfen wir nie vergessen, dass jedes einzelne Menschenleben zu schützen ist. Und dass jede einzelne Menschenrechtsverletzung als ein Angriff auf unsere Gesellschaft verstanden werden muss. Daher gilt es, wachsam zu bleiben und entschieden Demokratie und Menschenrechte zu verteidigen.

 

Auch den wiederholten gezielten Vandalismus an Gedenk- und Erinnerungsorten dürfen wir nicht tatenlos hinnehmen. Deswegen wird auch dieser Gedenkort seit Oktober 2019 videoüberwacht. Danke an die Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas, die hierfür die Kosten übernommen hat.

 

Kürzlich hat Frau Pau in einem Video, das ich auf facebook gesehen habe, Erich Kästner zitiert. Und dieses Zitat lautet: „Die Ereignisse von 1933 bis 1945 hätten spätestens 1928 bekämpft werden müssen. Später war es zu spät. Man darf nicht warten, bis der Freiheitskampf Landesverrat genannt wird. Man darf nicht warten, bis aus dem Schneeball eine Lawine geworden ist. Man muss den rollenden Schneeball zertreten. Die Lawine hält keiner mehr auf.“

 

Sehr geehrte Anwesende, in genau diesem Sinne bleibt der 27. Januar auch zukünftig der wichtigste Gedenktag in unserem Lande.

 

Ich übergebe nun das Wort an Petra Rosenberg, Landesvorsitzende Deutscher Sinti und Roma Berlin-Brandenburg.